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Die Genese der Leptinite und Paragneise zwischen Nordrach und Gengenbach im mittleren Schwarzwald


11 Druck-Temperatur-Zeit-(p-T-t)-Pfad

Ziel der geowissenschaftlichen Arbeit in metamorphen Gebieten ist die Kenntnis der Entwicklungsgeschichte der untersuchten Gesteine. Die wesentlichen Parameter dieser Geschichte sind dabei der Ort, die Zeit, der Druck, die Temperatur, die Phasen und die Deformation, weiterhin Fluid-Zusammensetzung, Porosität, Permeabilität, Wärmeleitfähigkeit und andere mehr. Im Idealfall ermittelt man die Entwicklungsgeschichte an einem Handstück. Benutzt man dazu weiter entfernte, verschiedene Gesteine ist deren gemeinsame Geschichte schon fraglich.

Die Parameter Druck und Temperatur und deren relative Abfolge wurden in dieser Arbeit ermittelt. Es wird nun versucht sie mit den geochronologischen Daten, die an anderen Gesteinen des Schwarzwalds ermittelt wurden, in Einklang zu bringen: die metamorphe Entwicklung zeigt ein älteres, druckbetontes Stadium, gefolgt von einem Stadium unter niedrigen Drücken an. Die geochronologischen Daten werden von zwei Altersgruppen dominiert.

 

11.1 Geochronologie im Schwarzwald

In den Metamorphiten der Zentralen Schwarzwälder Gneismasse (ZSG) sind weitverbreitet zwei herausragende Ereignisse zeitlich fixiert, das ordovizische und das karbonische Ereignis. Die großräumige Verbreitung dieser beiden Ereignisse in ortho- und paragenen Metamorphiten weist beide als metamorphe Ereignisse aus, die die gesamte Zentrale Schwarzwälder Gneismasse erfasst haben.

Prä-ordovizische Zeitmarken sind bisher im Schwarzwald nur lokal nachgewiesen: 2700-2000 Ma alte, altproterozoische Zirkonkerne, 1290 Ma alte Zirkone in einem Eklogit-Amphibolit, dazu 590 ± 20 und 530 ± 20 Ma alte, kambrische Zirkone aus Para- und Orthogneisen (KOBER et al. 1986, TODT & BÜSCH 1981, SCHLEICHER & GRAUERT 1985). Aus dem 87Sr/86Sr-Anfangsverhältnis ergibt sich ein maximales Mantelherkunftsalter und damit maximales Sedimentationsalter der Paragneise von 900 Ma (HOFMANN & KÖHLER 1973). Vor dem ordovizischen Ereignis muss eine heterogene, proterozoisch-kambrische Abfolge aus Sedimenten, Magmatiten und ?Metamorphiten vorgelegen haben.

Das ordovizische Ereignis

Die metamorphen Zirkon-Populationen von Paragneisen, leukokraten Gneisen und einigen Amphiboliten der Zentralen Schwarzwälder Gneismasse werden durch Zirkon-Neubildung und -Rekristallistion vor 480±15 Ma beherrscht (KOBER et al. 1986, SCHLEICHER & GRAUERT 1985). Das gleiche Alter ergibt eine Rb-Sr-Gesamtgesteins-Isochrone von Schauinsland-Diatexiten (490±26 Ma) und von Orthogneisen aus dem Kinzigtal (474±26 Ma, HOFMANN & KÖHLER 1973). Rb-Sr-Gesamtgesteins-Isochronen von granulitischen und leptinitischen Gesteinen verschiedener Lokalitäten zeigen, dass diese Gesteine in dem Zeitraum von 600 - 490 Ma eine wesentliche Prägung erfahren haben (LIPPOLT et al. 1986).

Kleinere Ereignisse zwischen Ordovizium und Karbon

In der Zeit zwischen dem ordovizischen und dem karbonischen Ereignis sind in der ZSG bisher zwei Altersdaten dokumentiert, die in benachbarten Kristallingebieten weitverbreitet, in der ZSG aber sehr untergeordnet sind:

(1) In einem Scherkörper bei Haslach und einem Paragneis und einem stark retrograd überprägten Eklogit-Amphibolit nahe der Zone Badenweiler-Lenzkirch wurden 410±20 Ma alte Zirkone gefunden (Silur/Devon-Grenze, KOBER et al. 1986, SCHLEICHER & KRAMM 1986).
(2) Wenige konkordante Zirkon-Fraktionen aus Eklogit-Amphiboliten sind 390 Ma alt (Mitteldevon, WERCHAU et al. 1989b).

Wegen der lokalen Verbreitung dieser Daten und der möglichen Bindung an tektonisch aktive Zonen haben diese Zeitmarken bisher nicht den Stellenwert des ordovizischen oder karbonischen Ereignisses.

Das karbonische Ereignis

WERCHAU et al. (1989a) fanden an Granitoiden und Metamorphiten aus dem gesamtem Schwarzwald (unter anderem an Anatextiten) konkordante U-Pb-Alter an Monaziten zwischen 335 und 325 Ma und interpretierten es als Alter einer regionalen Hochtemperatur-Metamorphose während der Intrusion von Graniten.

Die K/Ar-Systeme der Amphibole ergaben lokal und regional stark streuende Alter im Zeitraum 350 - 320 Ma (40Ar/ 39Ar-Stufenentgasung durch HRADETZKY et al. 1989, ALTHERR & KREUZER (unpubl.) zitiert in WERLING & ALTHERR 1986). In den gleichen Zeitraum fallen die K/Ar-Alter an Muskoviten und Biotiten und Rb-Sr- und Sm-Nd-Mineralisochronen aus Eklogitamphiboliten (WORKING GROUP GEOCHRONOLOGY 1985, WERCHAU et al. 1989b). HRADETZKY et al. (1989) betonten, dass die geologische Signifikanz der relativ weit streuenden K/Ar-Alter zur Zeit noch unklar ist.

 

11.2 Druck- und Temperatur-Bedingungen der Gesteine von Nordrach-Gengenbach

Das ältere, druckbetonte Metamorphose-Stadium

Die Existenz von Hypersolvus-Alkalifeldspat in den biotitarmen Leptiniten mit einer Zusammensetzung von Or40Ab60 ist problematisch, da nach dem strainfreien Alkalifeldspat-Solvus von SECK (1972: Fig. 5) und dem trockenen Muskovit-Granit-Solidus von HUANG & WYLLIE (1973: Fig. 2) Hypersolvus-Alkalifeldspat der obigen Zusammensetzung nur bei teilweise aufgeschmolzenem Gestein stabil ist (Abb. 48). Im Rahmen dieser Arbeit kann nicht geklärt werden, wie der Alkalifeldspat-Solvus unter natürlichen Bedingungen verläuft. Falls aber die Anorthit-Komponente in den biotitarmen Leptiniten vollständig in Alkalifeldspat gelöst war und die relativ Ca-reichen Granatkerne mit dieser Phase im Gleichgewicht standen, ergibt sich für die Nordracher Leptinite ein Hochdruck-Stadium, das den Hochdruck-Gesteinen von WIMMENAUER & STENGER (1989) entspricht. Grobe Temperatur-Einschränkungen geben zu hohen Temperaturen hin der trockene Muskovit-Granit-Solidus, zu niedrigen Temperaturen hin der geothermische Gradient und das Stabilitätsfeld von Kyanit+Kalifeldspat. Ob die Granat-Biotit-Thermometer-Daten von Granat-Kernen und Matrix-Biotit dieses Hochdruck-Stadium repräsentieren, ist offen. Zusammenfassend scheint mit dem Hypersolvus-Alkalifeldspat-Modell ein p-T-Bereich von 600-750 °C und 14-19 kbar, mit einem Zwei-Feldspat-Modell ein p-T-Bereich von 600-750 °C und 7-10 kbar als wahrscheinlich.

Das erste p-T-Feld entspricht dem der Hochdruck-Hochtemperatur-Metamorphose von WERLING & ALTHERR (1986), die durch reliktische Granat-Spinell-Peridotite und Eklogite dokumentiert ist. Das letztere p-T-Feld entspricht dem der granulitfaziellen Metamorphose von WERLING & ALTHERR (1986) und den Daten von FLUCK et al. (1980: 116), die 750 °C bei 9-10 kbar angaben.

Abb. 48: Lage von Reaktionen im p-T-Diagramm, die für die metamorphe Einstufung wichtig sind. JAD+QRZ=ALB = Jadeit+Quarz=Albit nach HOLLAND (1980); Granit-Solidus, nass nach WINKLER (1979); Granit-Solidus, trocken = trockener Muskovit-Granit-Solidus nach HUANG & WYLLIE (1973); ALKFSP(=Alkalifeldspat)-Solvus, strainfrei nach SECK (1972) erniedrigt um 15 °C nach LUTH & FENN (1973) wegen der peralumischen Gesteinszusammensetzung; ALKFSP-Solvus kohärent = ALKFSP-Solvus, strainfrei - 80 °C nach YUND & TULLIS (1983); KYA, SIL, AND = Kyanit, Sillimanit, Andalusit nach HOLDAWAY (1971); MUS+QRZ=ALS+KFS = Muskovit+Quarz=Al2SiO5-Mineral+Kalifeldspat für XH2O=0,5 nach KERRICK (1972)


Das jüngere Metamorphose-Stadium unter niedrigen Drücken

Die Rekonstruktion dieses Metamorphose-Stadiums fällt wesentlich leichter, da es später nicht mehr wesentlich überprägt wurde. Die Daten des Granat-Biotit-Thermometers von Granat-Biotit-Kontakten können als leicht retrograd equilibriert angesehen werden, so dass sich in Verbindung mit den Granatzentrum-Matrixbiotit-Daten eine Temperatur-Bereich von 600-700 °C ergibt. Das GPAQ-Thermobarometer ergibt in diesem Temperaturbereich ein Druckintervall von 3±2 kbar. Leichte Aufschmelzung ist dabei möglich.

Die Daten stehen in Übereinstimmung mit denen von FLUCK et al. (1980: 116), die 650 °C bei 4±1 kbar annahmen und denen von WERLING & ALTHERR (1986), die 600 - 680 °C und 3±1 kbar abschätzten.

 

11.3. Druck-Temperatur-Zeit-Pfad

Das frühe, druckbetonte Metamorphose-Stadium ist in der gesamten ZSG durch viele eklogitogene Amphibolite und andere, reliktische Hochdruck-Gesteine repräsentiert (WIMMENAUER & STENGER 1989). Das spätere Metamorphose-Stadium unter niedrigen Drücken ist durch verbreitete Cordierit-Bildung in Paragneisen überall zu finden. Dies führt zwangsläufig zur Parallelisierung des ordovizischen Ereignisses mit dem älteren, druckbetonten Metamorphose-Stadium (wie im Gotthard-Massiv, GEBAUER et al. 1988) und des karbonischen Ereignisses mit dem Niedrigdruck-Stadium (statisches Cordieritisierungs-Stadium, = unterkarbonische Niedrigdruck-Hochtemperatur-Metamorphose von WERLING & ALTHERR 1986). In Abb. 49 ist dies graphisch dargestellt: Modell-Pfad 1 bezieht sich dabei auf die p-T-Daten, die mit dem Hypersolvus-Alkalifeldspat-Modell erziehlt werden, Modell-Pfad 2 gilt alternativ, falls während des frühen, druckbetonten Stadiums kein Hypersolvus-Alkalifeldspat stabil war.

Abb. 49: Die Metamorphose-Entwicklung der untersuchten Gesteine als p-T-t-Pfad. Modell-Pfad 1 gilt für das Gleichgewicht von Hypersolvus-Alkalifeldspat mit Ca-reichem Granat-Zentrum. Falls dies nicht zutrifft, gilt Modell-Pfad 2, der das Gleichgewicht mit dem jetzt vorliegenden Plagioklas berücksichtigt.


Das ordovizische, druckbetonte Metamorphose-Stadium sollte durch ein Kollisions-Ereignis bedingt sein, das karbonische Niedrigdruck-Ereignis durch die Aufheizung der Oberkruste in Verbindung mit Granit-Intrusionen. Die Granite werden in einem tieferen Stockwerk, eventuell durch die Subduktion wasserreicher Sedimente, erschmolzen (EISBACHER et al. 1989). Dieses einfache Grundschema muss sicher noch modifiziert werden, da noch folgende Fakten zu berücksichtigen sind:

(1) Die Bedeutung der bislang wenigen geochronologischen Daten von der Silur/Devon-Grenze und aus dem Mitteldevon kann zur Zeit noch nicht sicher abgeschätzt werden. Beides sind Zeiträume, die in anderen Teilen des Orogens durch Kontinent-Kontinent-Kollisionen gekennzeichnet sind (ZIEGLER 1982, 1986):

(a) An der Grenze Silur/Devon schließt sich der Iapetus-Ozean und Laurentia und Fennosarmatia kollidieren. Als Folge werden die Arktisch-Nordatlantischen Kaledoniden gefaltet, es entsteht der Großkontinent Laurussia (=Laurasia).

(b) Während des Mitteldevons kommt es zur acadischen Orogenese in den Nord-Appalachen. Im Massif Central ist zu dieser Zeit südvergenter Deckenbau, in Nordost-Bayern ist eine druckbetonte Metamorphose verbreitet.

Die zur Zeit geringe Bedeutung dieser geochronologischen Daten in der ZSG lässt vermuten, dass die ZSG von diesen Groß-Ereignissen nur schwach beeinflusst wurde.

(2) Genau zur Zeit des kaledonischen Ereignisses im Schwarzwald (480 Ma) kommt es in Europa zum Rifting. Ausdruck dessen ist zum Beispiel im unteren Ordovizium der Saxothuringischen Zone der bimodale Diabas-Keratophyr-Vulkanismus (ENGEL et al. 1983: 17). Es besteht die Möglichkeit, dass die 480 Ma-Alter des Schwarzwalds dieses vulkanische Ereignis datieren. Die Hochdruck-Metamorphose müsste dann vor 410 oder 390 Ma stattgefunden haben. Dies ist aber wegen der weiten Verbreitung der 480 Ma-Datierungen unwahrscheinlich. So große Mächtigkeiten von ordovizischen Sedimenten und Vulkaniten, dass sie die gesamte ZSG dominieren, sind nirgends bekannt und auch unwahrscheinlich. Nur ein metamorphes Ereignis kommt dafür in Frage, die Chronologie eines solch großen Gebietes zu dominieren. Die Edukte der Leptinite hätten dann ein prä-ordovizisches Alter.

Die Rekonstruktion des p-T-t-Pfades gelingt zur Zeit nur punktuell. Zum Beispiel ist unklar, ob der Aufstieg (in den untersuchten Gesteinen als Druckentlastungs-Zwischenstadium zuerkennen)

(1) unmittelbar im Anschluss an das druckbetonte Stadium (Ordovizium, 480 Ma),
(2) im Verlauf eines eigenständigen Ereignisses (z.B. Silur/Devon-Grenze, 410 Ma oder Mitteldevon, 390 Ma, ?Graulitfazies) oder
(3) im Zuge des karbonischen Ereignisses erfolgte.

Der Zeitraum des karbonischen Ereignisses lässt sich noch nicht klar fassen. Einerseits lehrt die strukturelle Situation am Nord- und Südrand der Zentralen Schwarzwälder Gneismasse (ZSG), dass zwischen 340 - 330 Ma eine schon relativ kalte ZSG auf Sedimente überschoben wurde (EISBACHER et al.1989), andererseits interpretieren WERCHAU et al. (1989a) ihre Monazit-U/Pb-Alter von 335 - 325 Ma als Zeitraum hoher Temperaturen.

Hier wird das Alter von 350 Ma für den Beginn der Niedrigdruck-Metamorphose angenommen, da es das älteste K-Ar-Alter ist (HRADETZKY et al.1989) und in Einklang mit der strukturellen Entwicklung an den Ränder der ZSG steht. Die sich anschließende, wahrscheinlich regional unterschiedliche Temperatur-Entwicklung bis 320 Ma ist unbekannt.


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